Rotterdam Marathon 2011
Bericht von Stephan

Rotterdam-Marathon 2011



Da kommen sie angeflogen. Die zwei ersten Läufer kommen mir auf diesem Streckenabschnitt entgegen. Sie haben noch etwa 1,5 km und ich noch gut 13. Weltrekord wollten sie laufen, aber da meine Uhr etwas über 2:00:00 anzeigt, werden sie das heute nicht schaffen. Ich blicke in ihre Gesichter: Sie scheinen fast zu meditieren und das bei diesem Affentempo. Irre. Und schon sind sie vorbei.



Also wieder auf mein Rennen konzentrieren. Da vorne kommt KM 30. 2:07:38, ich bin 8 Sekunden über der Planzeit, wie das ganze Rennen schon immer nur ein paar Sekunden drüber oder drunter. Der Plan war, die ersten 15 km ein, zwei Sekunden über 4:15 pro km zu laufen und dann die nächsten 15 km ein, zwei Sekunden drunter. Soweit klappt das, aber es fühlte sich schon von Anfang an einen Tick zu schwer an. Laut Plan dann nach KM 30 einen Tick langsamer und damit könnte es gerade so reichen, die 3 Stunden zu knacken. In Wirklichkeit läuft man nach KM 30 einfach so schnell, wie’s geht – egal, was der Plan sagt.
Am Getränkestand wieder erst 2 Becher Wasser (sehr gut: in Rotterdam stecken sie einen eingekerbten runden Schwamm als Abdeckung auf jeden Pappbecher), Gesicht und Arme abwaschen, Haare nassmachen und dann Iso greifen und runter damit. Es ist zu warm – laut Vorhersage 18 Grad im Schatten, aber auf der ganzen Strecke ist kaum irgendwo Schatten. Im Startblock hab ich schon geschwitzt – der Start war dummerweise erst um 11. Aber das Wetter kann man nicht ändern. Jetzt hat es wieder etwas Gegenwind. Der kühlt wenigstens etwas, wenn er einen schon ein wenig bremst. Ich beschließe, dass ich heute auf den letzten 12 km einfach mal nicht müde werde ;-)

Die Straße führt nun durch einen Wald, endlich wenigstens Halbschatten. 4:05 zeigt die Uhr für KM 31. Das sieht gut aus – falls das KM-Schild richtig steht. Ein paar vorher standen nämlich schon mindestens 40, 50 m zu weit hinten oder vorne, was einen ziemlich verwirren kann. Mir unbegreiflich, wie man auf einer Strecke, auf der man Weltrekorde laufen will, die KM-Schilder nicht richtig stellt. Ansonsten ist die Strecke bisher gut zu laufen. Natürlich ist auch diese Marathonstrecke nicht ganz flach. Es geht 2x vielleicht 20 Höhenmeter auf die Erasmus-Brücke hoch + ein paar Unterführungen und kleinere Brücken + jede Menge „Drempels“ (Schwellen, um den Autoverkehr einzubremsen). Der tiefste Punkt liegt wohl so 5 Meter unter dem Meeresspiegel. Aber der Asphalt ist ziemlich glatt, es hat nur zwei 180 Grad Kurven und auch sonst relativ wenige scharfe Ecken und führt durch ziemlich viel Grün.
4:16 für KM 32, ok.

Den zweiten Gel Chip ausgepackt, zerlegt und in den Backentaschen verteilt.
Aber was ist das? Wieso kommt hier Verbundpflaster? Nicht nach 32 KM bitte. Nicht mit meinen Asics Racern. Ich liebe diese Schuhe, sie sind federleicht und ganz flach, aber nicht das richtige für unebenes Pflaster. Da vorne gibt es wieder Wasserschwämme. Den ersten greifen, Gesicht und Arme abwaschen. Den zweiten greifen und über dem Kopf auswringen. Das ist jetzt beim zehnten Mal schon Routine.
4:24, mmmhh, das ist zu langsam. Also noch mehr Einsatz. Das Pflaster geht weiter. 4:16, schon besser. Aber die Beine werden schwerer. KM 35 kommt, 2:29:04, exakt im Plan, das Pflaster hört endlich auf. Das dritte und letzte Gel auspacken, reindrücken und mit Wasser nachspülen. Das muss jetzt reichen bis ins Ziel. Und wieder Wasser über den Kopf.

Wie war der Plan noch? 4:19er Schnitt bis KM 41 und dann ins Ziel knautschen. Selbst hier draußen hat es ziemlich viele Zuschauer. KM 36 in 4:20, ein Tick zu langsam. Seit 15 Kilometern überhole ich fleißig Läufer, allein daran kann ich mich bezüglich Tempo immer schlechter orientieren, weil mehr und mehr Läufer immer stärker einbrechen. Mein Tempogefühl ist mittlerweile auch weitgehend hin. KM 37 in 4:25. Arrgh, das ist zu langsam. Also wieder schneller bitte. Viel geht jetzt nicht mehr, aber lieber Körper: Das sind nur noch lumpige 5 km und ich tu dir diesen Quatsch auch nie mehr an, versprochen, wenn du jetzt noch mal Gas gibst. KM 38 & 39 in 4:16. Prima, würde ich denken, wenn ich noch was denken könnte. Tempo halten, Tempo halten. Ein 3-Stunden Pacemaker wäre jetzt nicht schlecht, aber den gibt es in Rotterdam erst ab 3:15 Zielzeit. Da vorne kommt die Uhr bei KM 40. Sie zeigt 2:50:30 und ich brauch bestimmt noch 25 Sekunden bis ich dort bin. Minus die etwa 10 Sekunden Brutto zu Netto. Das sagt mir, dass ich ein paar Sekunden zu langsam bin. Mein Traum war, da bei 2:50:00 durchzulaufen, dann hätte ich ins Ziel nahezu joggen können. Bei 2:50:30 oder 40 könnte es auch noch irgendwie hinhauen, aber 2:50:46 ist ein paar Sekunden zu langsam. Mist. 4:24 für den letzten KM.

Also Frontalangriff! Alles was geht! Frequenz erhöhen! Schritt ziehen! Knie höher! Frequenz nochmal erhöhen! … Ich bin am absoluten Anschlag. Doch die Garmin zeigt nur 4:30 als Tempo für den laufenden Kilometer. Ich fass es nicht! Mein Tempogefühl sagt 4:10, eher schneller. Hoffentlich geht die Garmin falsch. Aber warum kommt mir Läufer vor mir nicht näher? Warum überhole ich nicht mehr? Also wieder Frequenz erhöhen! Ich tue alles, was ich kann. Die Oberschenkel geben nicht mehr her, da kann ich machen, was ich will. Mir ist so irre heiß. Endlich Kilometer 41. Der Blick zur Uhr. 4:31. Weitere 12 Sekunden zu langsam. Mist!



Das ganze Rennen habe ich geschwankt zwischen Skepsis, weil es sich nicht so ganz locker anfühlte von Anfang an, und Zuversicht, weil die Zeiten stimmten. Nun ist klar: Unter 3:00 geht heute nicht. Na, dann wenigstens möglichst dicht an die 3 Stunden ranlaufen. Seltsamerweise macht sich statt Frust Zufriedenheit breit, dass es bald vorbei ist. 1000 Meter vor dem Ziel steht wieder eine Uhr. Den letzten km in unter 3:55 und ich bliebe unter 3. Kein Problem mit 41 km Anlauf! (Kleiner Scherz am Rande.)
Aber weiter! Die letzte Biegung, noch 500 m. Noch 400 m, wie beim Radrennen haben sie jetzt alle 50 m Schilder aufgestellt, sehr praktisch. Ich fliege die Zielgerade hoch. Na ja, mit 42 km in den Beinen fühlt es sich doch nicht ganz an wie fliegen. Und ist wohl auch nicht ganz so schnell. Gut 100 m vor der Ziellinie springt die Uhr über dem Ziel um auf 3:00:00. Noch ein paar Meter…
3:00:17 netto, 3:00:30 brutto, Super-Zeit. Die letzten 1195m im 4:11er Schnitt. Die 2. Hälfte nur 35 Sekunden langsamer als die erste. Besser hätte ich das Rennen heute kaum einteilen können. Das es nicht 2:59 sind, ist mir gerade sowas von egal.

© All pictures copyright by Edith Ritter 2011


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