Zürich Marathon 2006
Erlebnisbericht von Stephan Ritter

Zwei Run 4 Fun'ler in Zürich oder: der verhinderte Panorama-Marathon

Nach Köln 2003 und 2004 und Hamburg 2005 sollte es in 2006 also Zürich sein. Das liegt früh genug im Jahr, um vor der Hitze gefeit zu sein (und Hitze beim Marathon heißt für mich alles über 16 Grad), hat eine schöne, flache Strecke (laut Thomas, der hier vor 2 Jahren schon mal lief) und ist nicht allzu weit weg. Und motivationshemmende 4 Runden sind es auch nicht. Außerdem konnte ich so endlich mal alte Freunde besuchen, die nun auch schon geraume Zeit in Zürich wohnen.
Als wir (diesmal reiste ich wieder mit Familie, da wir nach dem Marathon noch 2 Tage in Zürich und 2 in den Alpen dranhängen wollten) am Samstag Nachmittag in Zürich eintrudelten, war strahlender Sonnenschein, 18 Grad am Nachmittag. Startunterlagen abholen, die Freunde besuchen, bei ihnen Pizza essen, zurück ins Hotel, flugs war es 11 Uhr abends und Schlafenszeit, den morgen hieß es früh raus für mich. In Zürich ist der Startschuss morgens um 8:30, angeblich damit die Straßensperrungen möglichst früh wieder freigegeben werden können. So besonders wichtig scheint Zürich sein Marathon also nicht zu sein. Überhaupt kriegt man in der Stadt von dem Marathon im Vergleich zu Köln und Hamburg kaum was mit. Es gibt wenige Plakatwände, die Marathonmesse ist auch eher kleine etc.. Und "Alpe d'Huez"-Feeling mit größeren Zuschauermassen gibt es beim Marathon auch nicht.
Am nächsten Morgen stand ich also kurz vor 6 auf. Damit hatte ich immerhin knappe 6 Stunden geschlafen, war immer wieder mal wach geworden, aber vor einem Marathon schlafe ich nie gut. Der Blick aus dem Fenster zeigte, dass die Meteorologen leider recht gehabt hatten: Da war von Kaltfront und Dauerregen die Rede gewesen und genau so sah es auch aus. Aber, was soll's: Erstmal ein Liter Wasser und Iso trinken, einen halben Weck und ein paar Haferflocken essen - das Frühstücksbuffet schenkte ich mir wohlweißlich, voller Magen läuft nicht gern. Dann Laufklammotten anziehen und zur S-Bahn direkt vor dem Hotel, wo schon reichlich andere Läufer warteten. Es war relativ kalt, vielleicht 6, 7 Grad. Mit der S-Bahn fuhr ich dann die 4, 5 Stationen Richtung Start. Zürich hat übrigens das beste ÖPNV-Netz, das ich bisher gesehen habe. Alle 300 m eine Tram-, Bus- oder S-Bahn-Station, und auf allen diesen Linien wird im 10 oder 15 Minuten-Takt gefahren! Und dabei hat Zürich nur etwa doppelt so viele Einwohner wie Saarbrücken.
Im Start/Zielbereich fand ich dann recht schnell den Eisenbahnwaggon zur Abgabe meines Kleidersackes, vor dem schon eine recht große Pfütze stand. Nach dem Lauf war dann ein See draus geworden... Ich wartete auf Thomas, da wir die Keiderbeutelabgabe als Treffpunkt abgemacht hatten. Nach ein paar Minuten kam er angetrudelt und wir suchten wie ein paar Hundert andere Läufer auch erstmal Schutz vor dem Regen unter dem Dach einer BP-Tankstelle. Ich habe mich eigentlich immer gefragt, warum die Tankstellen mittlerweile alle so Riesendächer haben. Jetzt weiß ich's. Nach kurzer Beratung, was man denn heute bei dem Regen wohl am besten anzieht (T-Shirt und kurze Hosen, das stört am wenigsten, wenn es nass ist), haben wir uns dann noch auf der Start-Zielgerade warmgelaufen (bis zum 1 km Schild, es ist immer gut, wenn man schon mal weiß, wo dass steht, falls man es im Starttrubel nicht findet, tappt man 2 Kilometer lang tempomäßig im Dunkeln). Dann noch 2, 3 Mal Blase entleeren. Erstaunlich, wie oft man nach Trinken von einem Liter pinkeln muss, wenn man nur nervös genug ist, und dann 5 Minuten vor dem Start in den Startblock rein. Da wir nicht blickten, wo denn der offizielle Zugang ist, gingen wir einfach von vorne über die Start-/Ziellinie rein. Der Ordner hatte auch nichts dagegen, schließlich waren wir für den vordersten Block eingeteilt. Wir drängten uns dann nach hinten. Ein mühsames Unterfangen, dass wir nach 20 m aufgaben. Wir blieben einfach stehen und drehten uns um. So weit vorne hatten wir noch nie gestanden. Es waren vielleicht 600, 700 Leute vor uns und der Rest der 5.500 Starter hinter uns.
Im Vergleich mit dem Bohei, der in Köln und Hamburg vor dem Start veranstaltet wird, wo man vor dem Start mit Musik und Ansagen schon mal "warm" gemacht wird, ging es in Zürich ziemlich ruhig zu. Kurz vorher die alte Laufjacke wegschmeißen, Startschuss und schon nach 20 Sekunden liefen wir über die Matten. Thomas wollte sub3:10 laufen und mit 4:30 pro Kilometer anfangen, ich sub3:20 und mit 4:47 pro Kilometer, also hielt ich gleich Abstand von ihm und versuchte mein Tempo zu laufen. Doch etliche überholten mich und legten los wie bei einem 10 Kilometer-Lauf. Da die Start-Zielgerade schön breit ist (wenn auch nach dem Winter ziemlich uneben) und die Strecke auf den ersten 16 Kilometer eigentlich nur 2(!) ernsthafte Kurven hat, ist Überholen und Überholt werden aber kein Problem, man kommt ohne Rempeleien über die ersten Kilometer und hat sich schnell frei gelaufen. Die Luft war wie über Nacht frisch ausgetauscht und voller Sauerstoff. Außerdem war es nahezu windstill. Die Bedingungen waren also - bis auf den strömenden Regen - fast ideal zum Laufen.

     

Flugs war ich bei Kilometer1, 4:30 zeigte die Uhr, also viel zu schnell, dabei fühlte sich das doch so langsam an. Da hat die Aufregung wieder mal das Tempogefühl vernebelt. Also langsamer bitte! Nach ein paar Kilometern hatte ich mich dann bei etwa 4:45 eingependelt, immer ein bisschen schneller, als ich eigentlich so früh im Rennen laufen wollte, schließlich läuft's bei mir beim Marathon am besten, wenn ich die ersten 25 Kilometer erst mal geduldig abwarte. Aber wenn ich versuchte, noch "langsamer" zu laufen, wurde ich dann gleich viel zu langsam. Was heißt überhaupt langsam? Bei den letzen Intervallen im Marathontempo am Montag und Mittwoch hat sich dasselbe Tempo angefühlt, als käme ich keine 5 Kilometer weit. Aber so muss das wohl sein. Außerdem hatte ich seit Kilometer 2 leichtes Seitenstechen. Der eine Liter Flüssigkeit nach dem Aufstehen war wohl doch etwas zu viel gewesen. Im Moment war das noch nicht schlimm und ich hoffte noch, dass es - wie schon in Hamburg - rechtzeitig verschwindet, wenn es später ernst wird.
Die Strecke führt auf den ersten 10 Meilen immer am Zürichsee entlang an allerhand teuren Villen und noblen Kanzleien und Firmensitzen vorbei bis nach Meilen, so heißt der Vorort von Zürich passenderweise, in dem dann gewendet wird. Bei schönem Wetter hat man bis dorthin angeblich einen schönen Panoramablick über den See und bei klarer Sicht bis in die Alpen. Leider regnete es in Strömen, und man musste ständig aufpassen, nicht in allzu große Pfützen zu treten, die Füße würden schon noch früh genug nass werden. Zuschauer hatte es sehr wenige bei diesem Wetter, alle paar Kilometer stand eine Band ziemlich alleine am Straßenrand und trotzte dem Regen.


Sehr gesprächig scheint der Schweizer Marathonläufer auch nicht zu sein. Wird in Köln und Hamburg die ersten 25 Kilometer fleißig palavert unterwegs, bevor die Läufer anschließend aus unerfindlichen Gründen etwas schweigsamer werden, ist hier am Anfang schon ziemliche Ruhe im Feld. Verkleidungen oder größere Originalität zeigen die Läufern auch nicht und nur ganz wenige laufen in Vereinstrikots. Das alles macht zusammen mit dem Dauerregen diesen Teil des Marathons wenig abwechslungsreich. Nach Kilometer 14 kommt uns die Marathonspitze entgegen, die etwa bei Kilometer ist: 2 Hasen mit der Startnummer 1 im Schlepptau, ein paar Sekunden dahinter vereinzelt die Verfolger. Später sollte es noch den ein oder anderen Führungswechsel geben an der Spitze, bevor die Nummer 1 dann in 2:12:irgendwas siegte. Das ist zwar international alles eher zweite Reihe, aber die Pace, mit der die ihren Schritt ziehen, ist trotzdem beeindruckend und für uns Normalsterbliche unerreichbar. Wobei die Jungs nicht nur wesentlich mehr trainieren als unsereiner und jünger und begabter sind, nein, die quälen sich bei Kilometer 20 auch schon viel mehr als Otto Normalmarathoni.
Die entgegenkommende Läuferschar wurde nun erst wieder dünner und dann allmählich dichter, wir näherten uns der Wende. Ich versuchte Thomas zu entdecken, aber erfolglos. Die Wende selbst ist dann ziemlich originell: Man läuft um eine 90-Grad-Kurve, kurz den Berg hoch, durch ein Festzelt mit Dorffeststimmung (morgens um viertel vor Zehn!) und dann um eine zweite 90-Grad-Kurve. Könnten bitte alle Wendepunkte aller Läufe, an denen ich noch teilnehmen werde, so gestaltet werden? Wo kann ich das beantragen?
Eigentlich wollte ich nach Kilometer 15 beschleunigen auf 4:40 pro Kilometer, aber ich brauchte 2, 3 Kilometer, um schneller zu werden und ein passendes Tempo zu finden. Und dass war eigentlich auch wieder 3 Sekunden zu schnell. Alles nicht schlimm, mag man denken, dioch da ich in Köln 2004 wegen zu schnellem Anfangstempo am Ende ziemlich eingebrochen bin und nahezu 15 Minuten verloren habe, machte ich mir ein paar Sorgen. Aber ruhig bleiben und schön im Rhythmus laufen. Und lass das Rennen zu dir kommen. Dann wird schon noch genug Strecke da sein, falls man noch Körner hat. Die Vorbereitung lief ja gut. Mit demselben Pensum hat es in Hamburg ja auch geklappt (allerdings war ich da nach 3:25 im Ziel, wollte heute also schon ein bisschen schneller sein, wenn ich auch keine Ahnung hatte, warum das klappen sollte).
Absolut vorbildlich an Zürich sind übrigens die Getränkestände. Es gibt ein Iso, das ich ziemlich gut vertrage und nicht allzu schlimm schmeckt, PowerBar Riegel, Bananen und Vittel-Wasser in kleinen Plastikflaschen, so dass man sie bequem mitnehmen kann, ohne immer die Hälfte zu verschütten. Und das bei jedem Getränkestand in derselben, vorher bekannt gegebenen Reihenfolge.
Doch just nach einem Getränkestand passiert es dann. Ich zwing mir das Iso rein - ich trinke nun mal nicht gerne beim Laufen und zuviel trinken soll man ja auch nicht - und wärme es im Mund an, da es etwa Aussentemaratur hat, und wer will seinen Magen schon mit nahezu eisgekühlten Getränken verwöhnen, wenn man eigentlich zum Laufen hier ist? Mit dem Iso im Mund atme ich dann durch die Nase, schnäuze kurz, da beginnt sie zu bluten. Na prima, das hat ja gerade noch gefehlt! Wenn es im Winter richtig kalt ist, passiert mir das öfter, aber brauchen kann ich das jetzt gerade gar nicht. Nun habe ich nicht 12 Wochen trainiert und bin fast jeden Sonntag 3 Stunden die Saar hoch und runter, um jetzt hier stehen zu bleiben. Deshalb zerre ich im Laufen ein Tempo aus der Hosentasche, reiße es in der Mitte durch, roll es und stopf es in die blutende Nase, die ich dann beim Laufen noch gut 2 Minuten zuhalte. Dr. Müller-Wohlfahrt macht's mit seinen Bayern-Profis bestimmt auch nicht viel anders. Anschließend eine Vittel-Flasche gegriffen, die Mütze abgenommen und mit Vittel und natürlich dem reichlich vorhandenen Regenwasser geduscht. Nach einem Kilometer scheint alles wieder in Ordnung zu sein, vorerst. Wenn es nur nicht wieder anfängt zu bluten...
Während der ganzen Aktion habe ich jetzt nicht mehr aufs Tempo geachtet. Beim nächsten Kilometerschild ein paar Meter später zeigt die Uhr 4:29 für den letzten Kilometer. Das ist viel zu schnell! Zumindest für einen 3:20 Marathon. Das war mit Sicherheit der Ärger über meine Nase. Immerhin bin ich jetzt richtig wach. Das Seitenstechen ist übrigens mittlerweile auch weg. Ich versuche locker weiterzulaufen und wieder eine normalen Rhythmus zu finden, doch der ist anscheinend kaum langsamer. Bei Kilometer 25 bin ich insgesamt anderthalb Minuten besser als mein sub3:20 Plan. 25 Kilometer, das ist normalerweise aber auch der Punkt, wo ich die Zurückhaltung langsam aufgebe.
Also was tun? Ich hatte in einem Anfall von Größenwahn noch einen sub3:15 Plan gemacht und auch als Alternative am Handgelenk. Dem entnehme ich jetzt, dass ich "einfach" die verbleibenden 17,195 Kilometer in einem 4:30er Schnitt laufen muss, und schon komme ich unter 3:15 ins Ziel. Nun denn, probieren könnt ich es ja mal. Just go for it! Wenn's schief geht, geh ich halt ins Ziel. Dass ich bisher erst 2 Halbmarathons in diesem Tempo durchgelaufen bin und wie weh das getan hat, fällt mit glücklicherweise gerade nicht ein.
Und, o Wunder, 4:30 ist genau das Tempo, das ich jetzt absolut gleichmäßig laufe. Schon ab der Wende in Meilen habe ich immer mal wieder Läufer überholt, aber jetzt werden es immer mehr. Mittlerweile ist mir auch halbwegs warm, obwohl ich dank Regen überall nass bin. Gott sei Dank habe ich ein Schirmmütze mitgenommen, da habe ich den Regen wenigstens nicht im Gesicht. Nur die Hände sind kalt und klamm, als ich versuche das kurz vor Kilometer 30 gereichte PowerBar Gel aufzureißen. Auch das ist echter Luxus in Zürich, da muss man es nicht selber mitschleppen. Igitt, das schmeckt mir selbst nach über 2 Stunden Laufen noch nicht, aber ohne weiterzulaufen traue ich mich auch nicht. Schließlich fängt der Marathon ja erst richtig an, "wenn die 3 vorne steht auf den Kilometerschildern", wie Armin richtig sagt. Und an Kohlehydraten verfeuert der Körper jetzt alles, was er hat. Kurz drauf meldet sich am linken Bein der Tractus ilio-irgendwie (ich kann mir den Namen nie merken), das ist die Sehne/der Muskel (?) außen am Knie, der mir vor 2 Jahren mal ein paar Wochen Laufpause bereitet hat, jetzt will er wohl nur daran erinnern, dass es ihn auch noch gibt. Er ziept ein paar Hundert Meter lang, dann gibt er auf.


Ab Kilometer 30, wo am Museumsplatz die einzige echte Zuschauermenge steht, schindet der Zürich Marathon die Kilometer förmlich. Eigentlich ist man nur etwa 3 Kilometer vom Ziel entfernt, aber die Strecke wickelt sich erst noch ein paar Mal am See entlang und durch die eigentlich sehr schöne Alstadt wie der Dünndarm, als müsse sie einen für die bisherige Geradlinigkeit mit jeder Menge 90 Grad-Knicks strafen. Ich dachte mir schon bei einem Blick auf den Streckenplan, dass man da die Orientierung verliert und hab erst gar nicht versucht, mir sie einzuprägen. So läuft man dann die Bahnhofstrasse hoch und runter und durch etliche andere Strassen und Sträßchen, überquert ein paar mal den Limmat. Das ist jetzt alles nicht mehr sonderlich attraktiv, weil es 1. regnet, man 2. nicht mehr ganz frisch ist und man deshalb dann doch nicht mehr ganz so viel in die Gegend schaut und man sich 3. sehr darauf konzentrieren muss, nicht auf den zahlreichen Trambahnschienen auszurutschen (bester ÖPNV der Welt oder so, siehe oben), die sehr glatt sind bei diesem Wetter. Überhaupt sind die Strassen hier reichlich uneben. Wenn man paar-und-dreißig Kilometer in den Beinen hat, mag man das nicht besonders, aber es geht bei mir nis jetzt ganz gut. Das letzte Viertel der Strecke ist also nicht sehr attraktiv, aber es an den Anfang zu stellen wäre auch nicht geschickt, da würde es arg eng. Wie auch immer: Ich laufe weiter meinen 4:30 Schnitt, mal 2 Sekunden langsamer, mal 3 oder 4 Sekunden schneller, und orientiere mich nur noch an den Kilometerschildern. Schneller geht partout nicht, langsamer aber Gott sei Dank auch nicht. Ich kann gar nicht fassen, dass ich mit diesem Tempo unterwegs bin, und horch in mich rein, wo denn diesmal der Einbruch noch kommt.
Bei Kilometer 35 mache ich am Streckenrand meine Familie und Freunde aus, die erstmal ausgeschlafen und in Ruhe gefrühstückt haben und es jetzt doch noch an die Strecke geschafft haben. Was sollen sie sich auch 4 Stunden in den Regen stellen? Da ich mir kurz vorher einen Gelchip in die Backentaschen gestopft habe, sehe ich wohl aus wie ein nasser, halb dehydrierter Hamster kurz vor Hungertod und Herzinfarkt, zumindest erzählen sie mir das später. Mir geht's aber prächtig. Es läuft einfach. Ich vergesse, auf die Uhr zu kucken und brauch es auch nicht. Alles fließt. Das sind die Minuten, in denen ich Marathonlaufen am schönsten finde. Ich sammle weiter fleißig andere Läufer auf. Die Kilometerschilder, sonst oft heftig herbeigesehnt, kommen mir geradezu freiwillig entgegen. Noch ein-, zweimal über den Limmat, kurz über die 1, 2 Höhenmeter und das Pflaster auf der Brücke geflucht,


noch mal ungefähr 20 enge Kurven genommen, noch mal an meinen "Fans" vorbei (2 oder 3 Mitläufer haben hier wohl abgekürzt und eine 3-Kilometerschleife weggelassen, berichten sie mir später) und schon ist man am letzten Getränkestand. Ich will noch mal einen Schluck Iso trinken, greife versehentlich aber Cola, und das hat reichlich Kohlensäure. Dann halt nur den Mund spülen und das Zeug ausspucken, wer will jetzt schon Kohlensäure? Der Körper freut sich über den Zucker im Mund und weiter geht's. Weiterhin läuft es verhältnismäßig leicht. Natürlich bin ich froh, dass jetzt bald Schluss ist, aber ich kann sogar noch kopfrechnen. Bei Kilometer 39 zeigte die Uhr 3:00:01, also komme ich bei etwa 3:14:30 ins Ziel, rechne ich, wenn ich denn nicht noch einbreche oder mich ein Krampf erwischt wie einige Mitläufer, die dehnend am Rand der Laufstrecke stehen. Wer diese Rechenleistung für intellektuell anspruchslos hält, möge es selbst mal probieren nach 3 Stunden schnell laufen.
Die Zielgerade ist knapp 2 Kilometer lang und ich bin auf meinem absoluter "Lieblingskilometer", der zwischen 40 und 41. Wenn es mich vorher nicht ereilt hat, habe ich bei meinem Marathons bisher spätestens hier reichlich Zeit liegen lassen. Also nur nicht nachlassen! Aber heute wartet der Mann mit dem Hammer wohl frühestens im Ziel auf mich. Den Kilometer in 4:35, also auch nur 5 Sekunden langsamer, und dann das letzte Stück, die letzten 1195 Meter. Ich gebe noch mal Gas und beiße und werde zum ersten Mal seit Kilometern von einem noch schnelleren überholt. Warum hat eigentlich niemand hier ein "noch 500 Meter"-Schild hingestellt?
Noch ein paar Meter und noch ein paar Meter und ich bin im Ziel. In 3:14:niedrig!!! Das ist über 11 Minuten schneller als jemals! 3:14:10,8 sagt später die offizielle Zeitmessung (so genau wollt ich es gar nicht wissen). Und dass ich die zweite Hälfte fast 5 Minuten schneller gelaufen bin als die erste.
Überglücklich stapfe ich den Läuferkollegen nach. Das übliche: Erst kriegt man 'ne Medaille umgehängt, dann den Kabelbinder mit dem Champion Chip vom Schuh geschnitten (sehr praktisch, erspart das Hinsetzen und/oder Bücken), man bekommt sein Finisher-Shirt, dann gibt es Iso zu trinken (warum das allerdings kalorienarm sein muss, versteh ich jetzt nicht so ganz), Äpfel und sonstigen Kram. Ich kann gar nicht fassen, wie ich es zu dieser Zeit geschafft habe. Und gequält habe ich mich diesmal so wenig wie noch bei keinem Marathon. Unbegreiflich. Aber vielleicht ist Marathon doch eine sanfte Kunst, so wie ich das letztes Jahr in Hamburg beschlossen habe. Schneller wäre aber auch nicht gegangen, ich hatte wohl das Glück, genau bis zum Limit zu laufen.
Ich suche Thomas, finde ihn aber nicht. Da es und ziemlich kalt ist (oder habe ich das schon mal erwähnt?) und regnet (das habe ich bestimmt schon mal erwähnt), schnappe ich mir schnell meinen Kleiderbeutel. Die offiziellen Umkleiden sind einen Kilometer weit weg, also setze ich mich kurzerhand auf eine Zaunrolle, die im Regen liegt, und versuche mich schneller umzuziehen, als die frischen Sachen nass werden. Nicht ganz einfach. Mein rechter Fußballen ziepte zwar unterwegs ein bisschen, aber hat dann wohl doch vergessen, die übliche Blase zu bekommen.
Nach dem Umziehen habe ich so kalt, dass die Zähne klappern. Alle Energie verbraucht. Ich mache, dass ich ins Warme komme (wobei ich das Finisher T-Shirt auf der Zaunrolle vergesse, wo es bestimmt heute noch liegt) und setze mich ein paar Minuten ins jetzt schon halbwegs überfüllte Marathonzelt, wozu man 20 Stufen hoch und runter muss. Ich bin so high, dass mir das nichts macht, der ein oder andere wird hier aber laut geflucht haben. DA ich immer noch vor Kälte zittere, werfe ich ein paar Traubenzucker ein, die irgendein gnädiger Sponsor in die Kleiderbeutel gepackt hat und gebe einen Traubenzucker einem ebenso verfrorenen Mitläufer ab. Da ich Thomas nirgends sehe, fahre ich ein paar Minuten später ins Hotel, fachsimpele unterwegs in der S-Bahn noch mit einigen Schweizer Marathonis (ich versuche es zumindest, aber die Sprachbarriere zum Schweizer Dialekt ist doch relativ hoch) und lege mich im Hotel erst mal 'ne Stunde in den Whirlpool, von wo man bei schönem Wetter über ganz Zürich inklusive Zürichsee sieht. Aber das mit dem Panoramablick und dem schönen Wetter hatten wir schon.
Nachmittags (es regnete übrigens immer noch) bin ich dann mit Familie noch ins Kunsthaus (sehr empfehlenswert) und mit Freunden fein essen (und trinken). Selten war das Bier und der Wein so lecker! Und bis Dienstag morgen hat es dann in Zürich weiter geregnet. Außer Montag Nachmittag, da hat es geschneit. Das tat meiner Laune aber keinen Abbruch. Nach so einer (für meine Verhältnisse) Hammerzeit müsste ich jetzt eigentlich mit Laufen aufhören, soweit es Bestzeiten betrifft...
In den Alpen lag dann mehr als ein Meter Schnee. Doch an Schnee war ich ja gewöhnt - aus der Marathonvorbereitung.
Auch Thomas war zufrieden. Er hat in 3:12:15,2 ebenfalls eine neue persönliche Bestzeit aufgestellt und ist - ebenfalls völlig durchnässt - ziemlich gut durchgekommen.


Also vielleicht sollte man Zürich mal bei schönem Wetter laufen.


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